Dehydriert bis auf den letzten Tropfen, die Klamotten leidlich verschmutzt, dampfende Socken als Zeugen des brennenden Geläufs. In den Gesäßmuskeln tobt ein miesgelaunter Kater. Wir waren auf Schwindel erregenden 2243 Metern Höhe. Zu Fuß. Mit Gepäck. Dort oben auf der Shootingrange Axalp im wunderschönen Berner Oberland findet alljährlich das Fliegerschießen der Schweizer Luftwaffe statt. Eine der legendärsten Flugshows der Welt. Allerdings auch eine körperliche Grenzerfahrung für Bewohner der norddeutschen Tiefebene wie wir es sind.
Fuchs oder Maus?
Es ist Morgen in Axalp Dorf. Sehr früher Morgen. Ein einsamer Fuchs hält Ausschau nach unvorsichtigen Mäusen. Ansonsten scheint es, sind wir unter uns. Es ist kalt. Der sternenverhangene Himmel ist von makelloser Reinheit. Dennoch verleiht die Seele der Nacht der Gegend eine leicht gespenstische Attitüde. Sind wir Fuchs oder doch eher Maus? Das sanfte Säuseln unserer Gaskochers unterbricht die Stille der Berge. Kaffee. Nach mehr als 800 Kilometern auf der Autobahn und zwei Stunden Dahindämmerns im Fahrzeug der passende wake-up-call für das Tier in uns. Das siedende Heißgetränk verfehlt seine Wirkung nicht.
Gegen 0530 sind wir bereit zum Aufbruch. Bereit zum heroischen Kampf gegen die Unbarmherzigkeit der Alpen. 798 kräftezehrende Höhenmeter liegen vor uns. Von nun an gibt es keine Gnade mit uns selbst. Kapitulation ist ausgeschlossen. Luis Trenker war ein schlendender Wanderer gegen uns. Wir sind wilde Jungs. Ein Preis ohne dafür Schweiß gelassen zu haben widert uns an. Die Schwerkraft ist für uns nur eine Rechengröße. Wir sind die Speerspitze der Evolution.
Das Ende?
Nur 16 Minuten, 930 Schritte und 83 Meter Höhenunterschied später sind unsere einstmals lodernd in Flammen stehenden Herzen zu leicht glühenden Würmchen verkümmert. Puls 180, Laktatwert über 20 mmol/l. Durst, Hunger und pinkeln müssen wir auch. Feixend ziehen indes Familien mit Kindern an uns vorbei. Alle Schwüre sind vergessen. Das Spiel ist aus! Könnte man meinen. Ein Schlückchen Kräutergeist bringt den Glauben zurück, ein zweiter die Kraft. Folgerichtig geht es weiter.
Die folgenden 350 Meter Höhendifferenz vergehen wie im Fluge. Wir sind hochgradig überrascht, wie bequem es sich in einem Skilift sitzt. Sein wir ehrlich. Hannibal hat die Alpen auch nicht alleine überquert. Keine Schande also. Schlussendlich liegen weitere 365 Höhenmeter vor uns. Ohne Lift, ohne Elefanten. Keine zwei Stunden später, mit nicht unerheblichem Gejammer, Gejaule und Gezeter, erreichen wir das Ziel, den Gipfel des Tschingel. Alles in allem wenig heroisch, aber immerhin.
Der Lohn
Wir werden belohnt. Die Show, zu der majestätische Berge die Kulisse bilden, ist überragend. Bier ist günstig, die Toiletten zahlreich und sauber. Bei all dem Freudentaumel schwebt jedoch das Gespenst des spätnachmittaglichen Talabstieges wie eine düstere Prophezeiung über uns. Zu unserer Entzückung lassen die Berge Milde walten.
Mitnichten wäre es unwahr zu behaupten, wir gleiten behände wie eine Gams zurück ins Tal. Köpergefühl gleich Null. Folgerichtig taumeln wir hüftsteif und frei jeglicher Kontrolle über unsere Extremitäten dem Ziel entgegen. Mit schöner Regelmäßigkeit landen unsere ungeschickten Hintern im nassen, matschigen, kalten Dreck. Das Gezeter ist zurück. Die feixenden Familien auch. Elefanten wären angesagt …
Schlussendlich erreichen wir keine zwei Stunden nach Ende der Show unser Fahrzeug. Gänzlich ohne Skilift oder Dickhäuter. Fertig, trotzdem glücklich dabei gewesen zu sein. Auf 2243 Meter über dem Meeresspiegel …